Paketpost

Geschrieben am Uhr

Draußen regnet es zwar, aber ich sitze im Strandkorb. Das Wetter ist ungemütlich, doch mir ist es egal. In meinem Korb bin ich sicher und geborgen. Und wenn mich mal ein Tropfen erreicht, dann hülle ich mich noch mehr in meine dicke Decke und fühle mich noch kuscheliger. Als ich klein war, habe ich das auch gerne gemacht. Abends, wenn ich in meinem Zimmer lag und die dicken Regentropfen gegen mein Fenster klatschen, mummelte ich mich wie eine Mumie in meine Bettdecke ein und stellte mir vor mein Zimmer sei ein Paket. Ein Paket? Ja, richtig, ein großes Paket. Und dieses Paket war wasserdicht und schwamm in einem riesigen Ozean umher, in dem ich allerlei Abenteuer erlebte. Mein Fenster waren die großen Glotzaugen in diese unendliche Unterwasserwelt und von meinem Bett aus sah ich unzählige Fischschwärme an mir vorbeiziehen. Befreundet war ich zu dieser Zeit übrigens mit einer Riesenmonsterkrake, die immer mit einem Auge durch mein Fenster stierte und sich mit mir telepathisch oder über Blubberblasen unterhielt. Bis heute besucht sich mich manchmal noch in Regennächten.

Denn auch jetzt noch habe ich Lust, mit meinem Paket wieder durch die Weltmeere zu schippern. Ich habe Igor schon oft von dieser Welt unter Wasser erzählt und ihn eingeladen, mich nachts in meinem Schlafzimmer zu besuchen. So könnte er  nämlich nicht nur die Krake kennenlernen, sondern auch mein kleines Seepferdchen, welches ich sehr ins Herz geschlossen habe. Bisher hat er aber immer dankend abgelehnt. „Kennst Du einen Unterwasservogel?“; fragt er mich immer und schüttelt dabei vehement seinen Kopf. „Ich bin ja immer offen für Neues, aber in diesem Fall bin ich der Veränderung gegenüber nicht aufgeschlossen. Ich bleibe bei meiner Meinung.“

Dafür bewundere ich ihn auch. Mit einer Leichtigkeit, ja in meinen Augen fast schon elegant, schafft er es immer seine Meinung zu sagen ohne mir dabei auf die Füße zu treten. Wie macht er das? Mir gelingt das nicht. Wenn ich Nein sage, fühle ich mich dabei oder danach komisch. Vor allem bei Wesen, die ich mag. Ich denke dann, ich muss Ja sagen, um gemocht zu werden. Dass es mir nicht gut tut, ist mir klar, dennoch halte ich oft daran fest.

„Aber, du wärst der erste Vogelforscher unter Wasser. Du glaubst ja gar nicht, welchen schmackhaften Wasserwürmer es dort unten gibt“, fahre ich also fort. Damit habe ich ihn fast, aber nur fast. „Nenne mich altmodisch, schimpfe mich meinetwegen auch eine altmodische Amsel, aber ich gehöre auf einen Baum oder mit den Krallen in den Bach“, sagt er. „Wie machst du das, wie kannst du so leicht deine Meinung vertreten ohne Angst zu haben, mich zu verlieren?“ Igor sieht mir in die Augen. „Ich habe keine Angst dich zu verlieren. Uns verbindet das Band. Gerade weil wir uns nah sind, so können wir doch ohne Furcht unsere Grenzen abstecken. Du musst nicht mögen, was ich schätze. Umgekehrt auch nicht. Und so kannst du es in deinem ganzen Leben handhaben. Respektiere die Grenzen der Anderen, aber noch viel wichtiger: Respektiere die Deinen!“ Dann fliegt er weg. Typisch. Ich höre ihn von weitem noch rufen: „Den abendlichen Besuch bei dir, den werde ich mir überlegen.“ Ach, mein Igor, ich liebe Dich.

Auch wenn du mit meinen Unterwasserwelten nichts anfangen kannst. Oder vielleicht auch gerade weil du mit ihnen nichts anfangen kannst...

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